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Auf Augenhöhe und innovativ die Arbeitswelt der Zukunft gestalten

Auf Augenhöhe und innovativ die Arbeitswelt der Zukunft gestalten
Von Thomas Lambusch

Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall werden vielfach Fragen nach der Zukunft der Sozialpartnerschaft in unserem Land gestellt: Weshalb verfügen wir hier nicht über die gleiche belastbare Basis wie vielerorts im Westen? Dafür gibt eine Reihe von Gründen:

Zunächst einmal setzt Sozialpartnerschaft zwei vergleichbar starke und gleichermaßen wertgeschätzte Partner voraus. Doch hier bei gilt das freie Unternehmertum nicht als Triebkraft von Wachstum und Wohlstand. Vielmehr haben die traumatischen Erfahrungen mit dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft, der Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen, die Entwertung von Titeln und Qualifikationen das Vertrauen in die Soziale Marktwirtschaft tief erschüttert. Für Sicherheit und Wohlstand war in der DDR der Staat verantwortlich, und diese Haltung prägt viele Bürger noch heute - leider. Erst langsam beginnt sich das Bild zu ändern. Aber es wird noch Generationen brauchen, bis sich das Verhältnis normalisiert hat. Und jeder, der die Unternehmer im Osten weiter schlechtredet oder über „Lohnkeller“ und Fachkräfteabwanderung klagt, zögert diesen Normalisierungsprozess weiter hinaus. Dabei ist die Geschichte des Ostens in Wahrheit ein Erfolgsgeschichte: Neben der friedlichen Revolution - eine historisch einzigartige Leistung - haben die Bürger einen tiefen Strukturwandel gemeistert, vermutlich tiefer gehend als den Umbau der Kohlereviere im Westen; sie haben ein völlig neues Wirtschaftssystem eingeführt, und sie haben die Kräfte des freien Unternehmertums aus ihrer Schockstarre erweckt. All das wird viel zu wenig gewürdigt.

Diese historischen Erläuterungen sind aber nur ein Grund, weshalb die Sozialpartnerschaft im Osten vielfach noch in den Kinderschuhen verharrt; die besondere Wirtschaftsstruktur kommt als zweiter Erklärungsfaktor hinzu. Unser Land ist in weiten Teilen touristisch und agrarisch geprägt. Eine solide industrielle Basis entsteht nur langsam, das verarbeitende Gewerbe trägt hier erst halb so viel zur Wertschöpfung bei wie im Bundesdurschnitt. Zudem beschäftigen 88 Prozent der Betriebe im Land weniger als zehn Mitarbeiter, die überwiegende Zahl von ihnen hat keinen Betriebsrat geschweige denn eine Bindung an den Flächentarif. Das liegt gewissermaßen in der Natur der Sache: Zwar hat der Flächentarifvertrag als Orientierungsgröße auch hier eine unentbehrliche Ordnungsfunktion. Aber für Klein(st)betriebe macht es eben einen Unterschied, ob sie ein umfassendes und komplexes Paragraphenwerk lediglich als Richtgröße betrachten oder ob sie alle seine verzweigten Regelungen minutiös anwenden müssen. Das ist vielen Kleinbetrieben zu aufwendig; sie regeln Probleme lieber im direkten Gespräch mit ihren Mitarbeitern.

Wer die Sozialpartnerschaft im Osten fördern will, muss erst die Basis dafür schaffen: durch ein entideologisiertes Unternehmerbild und durch die Bilder, die man aus den Medien kennt: Wer bei Mecklenburg-Vorpommern nur an Kurorte und Rapsfelder denkt, wird kaum auf die Idee kommen, dort ein neues Werk zu planen. Wer Bilder von einstürzenden Autobahnen, abbrechenden Internetverbindungen oder brennenden Munitionsdepots im Kopf hat, wird nicht erwarten, im Land die Verkehrs- und Dateninfrastruktur vorzufinden, die er für eine neue Produktionsanlage benötigt. Daher hat die Vereinigung der Unternehmensverbände Anfang 2018 ein Zukunftsbündnis angestoßen, das sich auf drei Kernforderungen konzentriert: mehr Wertschöpfung, höhere Bildung und bessere Infrastruktur. Auf diese drei vordringlichen Handlungsfelder muss sich die rot-schwarze Koalition konzentrieren, wenn sie den Abstand zu anderen Bundesländern aufholen will. Wir als Arbeitgeber wirken hieran schon nach Kräften mit und schlagen auch einen neuen Slogan für das Landesmarketing vor: „Hier wächst gesunder Mittelstand“ - so würde im „Land zum Leben“ gute Arbeit gleich mitgedacht.

Auf einer solchen Basis könnte dann auch eine innovative Sozialpartnerschaft aufbauen. Deren Ziel sollte es sein, die Tarifbindung zu steigern sowie Standortvorteile auszubauen. Das haben wir in den Gesprächen zur Arbeitszeit Ost versucht. Es gilt, eine zwar wirtschaftlich begründbare, aber politisch und persönlich als diskriminierend empfundene Ungleichheit gegenüber dem Westen abzubauen, aber gleichzeitig Arbeitsplätze und Wohlstand im Osten zu sichern. Mit den anderen ostdeutschen Metallarbeitgebern gemeinsam sehe ich die Lösung in einem innovativen Tarifmodell, das Arbeitgebern und Betriebsräten gemeinsam größere Entscheidungsbefugnisse und den Firmen dadurch mehr Spielräume in der Arbeitszeitgestaltung gibt. Im Gegenzug soll ab 2031 die 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie eingeführt werden, auf freiwilliger Basis und bei einem teilweisen Ausgleich der Kosten sogar deutlich früher. So kann eine zukunftweisende Tarifpartnerschaft gelingen. Wäre das nicht einen Versuch wert, gerade hier im Osten?!

Thomas Lambusch
Präsident des Arbeitgeberverbandes NORDMETALL e.V.
Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände für Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Geschäftsführender Gesellschafter der S.E.A.R. GmbH, Rostock

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