VNW-Direktor Andreas Breitner sieht Baukonjunktur im Sinkflug
Eine übergroße Mehrheit der sozial-orientierten Wohnungsunternehmen Norddeutschlands bewertet derzeit die Aussichten für den Neubau von Wohnungen als schlecht bzw. sehr schlecht. Zudem steht die Errichtung mehrerer Tausend bezahlbarer Wohnungen auf der Kippe.
86 Prozent der Wohnungsgenossenschaften und der sozial-orientierten Wohnungsgesellschaften schätzen die Aussichten für den Neubau derzeit als schlecht bzw. als sehr schlecht ein. 60 Prozent wollen deshalb den Start von Neubauprojekten verschieben bzw. sind noch unsicher. Derzeit vermieten diese rund 750.000 Wohnungen mit bisher wachsender Tendenz.
Die wichtigsten Gründe sind der dramatische Preisanstieg bei Baumaterialien. Hinzu kommen gestörte Lieferketten (Holz, Stahl, Dämmstoffe) und ein zunehmender Personalmangel bei Bauunternehmen. Die Unklarheit darüber, wie künftig die öffentliche Förderung des Wohnungsbaus aussehen wird, und steigende Bauzinsen verunsichern ebenfalls viele Unternehmen.
Das sind die Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedern des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), die vom 30. März 2022 bis 1. April 2022 durchgeführt wurde. An der Umfrage beteiligten sich 104 von 295 dem VNW angehörenden Wohnungsunternehmen, darunter alle größeren Vermieter.
„Es ist leider fünf Minuten nach zwölf“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner. „‘Bauen, bauen, bauen‘ – das war gestern. Dass angesichts dieser negativen Stimmung in den kommenden Jahren die von der Politik ausgerufenen Neubauzahlen erreicht werden können, ist ausgeschlossen. Ich fürchte einen deutlichen Rückgang des Wohnungsneubaus in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Hamburg. Vor allem in Ballungszentren wird sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt verschärfen.
Die Baukonjunktur wird sinken. Betroffen wird vor allem die Errichtung des bezahlbaren Wohnraums sein. Da, wo eine geringe Rendite durch die hohen Baukosten, die unsichere Förderung und die steigenden Zinsen aufgezehrt wird, bleibt der Neubau aus. In Betongold wird durch von vermögenden Kunden beauftragten Projektentwicklern möglicherweise weiter investiert. Dabei entsteht aber kein bezahlbarer Wohnraum.“
Die Zahlen für Norddeutschland:
Den Umfrageergebnissen zufolge schätzen 61 Prozent der Unternehmen, die an der Umfrage teilnahmen, die Aussichten für den Neubau von Wohnungen in Norddeutschland in diesem Jahr als „schlecht“ und 25 Prozent als „sehr schlecht“ ein. 31 Prozent der Unternehmen werden für 2022 geplante Neubauprojekte verschieben, 29 Prozent sind noch unsicher. Der Baustart von bis zu 3000 Wohnungen könnte sich verzögern.
42 Prozent der Unternehmen gehen von einer Verteuerung ihrer laufenden Bauprojekte um 20 Prozent aus. 29 Prozent rechnen mit einer Preissteigerung von bis zu 30 Prozent, 16 Prozent von bis zu zehn Prozent. 76 Prozent der Unternehmen berichten, dass Bauunternehmen sich weigerten, sich auf Preise festzulegen. Die größten Engpässe gibt es bei Holz, Stahl und Dämmstoffen.
Unterteilung der Zahlen für die einzelnen Bundesländer.
Hamburg:
Den Umfrageergebnissen zufolge schätzen 70 Prozent der Hamburger Unternehmen die Aussichten für den Neubau von Wohnungen in diesem Jahr als „schlecht“ und 15 Prozent als „sehr schlecht“ ein. 27,2 Prozent der Unternehmen werden für 2022 geplante Neubauprojekte verschieben, 30 Prozent sind noch unsicher. Der Baustart von bis zu 1300 Wohnungen könnte sich verzögern.
57,6 Prozent der Unternehmen gehen von einer Verteuerung ihrer laufenden Bauprojekte um 20 Prozent aus. 18,1 Prozent rechnen mit einer Preissteigerung von bis zu 30 Prozent, 18,1 Prozent von bis zu zehn Prozent. 81,8 Prozent der Unternehmen berichten, dass Bauunternehmen sich weigerten, sich auf Preise festzulegen.
Schleswig-Holstein:
Den Umfrageergebnissen zufolge schätzen 57,6 Prozent der Unternehmen in Schleswig-Holstein die Aussichten für den Neubau von Wohnungen in diesem Jahr als „schlecht“ und 26,9 Prozent als „sehr schlecht“ ein. 34,6 Prozent der Unternehmen werden für 2022 geplante Neubauprojekte verschieben, 26,9 Prozent sind noch unsicher. Der Baustart von bis zu 900 Wohnungen könnte sich verzögern.
30,7 Prozent der Unternehmen gehen von einer Verteuerung ihrer laufenden Bauprojekte um 20 Prozent aus. 30,7 Prozent rechnen mit einer Preissteigerung von bis zu 30 Prozent, 15,4 Prozent von bis zu zehn Prozent. In Schleswig-Holstein ist der Anteil der Unternehmen, die mit einer Preissteigerung von 50 und mehr Prozent rechnen, mit 15,4 Prozent besonders hoch. 69,2 Prozent der Unternehmen berichten, dass Bauunternehmen sich weigerten, sich auf Preise festzulegen.
Mecklenburg-Vorpommern:
Den Umfrageergebnissen zufolge schätzen 55,5 Prozent der Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern die Aussichten für den Neubau von Wohnungen in diesem Jahr als „schlecht“ und 31,1 Prozent als „sehr schlecht“ ein. 31,1 Prozent der Unternehmen werden für 2022 geplante Neubauprojekte verschieben, 40 Prozent sind noch unsicher. Der Baustart von bis zu 900 Wohnungen könnte sich verzögern.
35,5 Prozent der Unternehmen gehen von einer Verteuerung ihrer laufenden Bauprojekte um 20 Prozent aus. Weitere 35,5 Prozent rechnen mit einer Preissteigerung von bis zu 30 Prozent, 15,5 Prozent von bis zu zehn Prozent. 75,5 Prozent der Unternehmen berichten davon, dass Bauunternehmen sich weigerten, sich auf Preise festzulegen.
„Egal, mit wem ich rede: eigentlich wollen alle Vorstände und Geschäftsführer im Rahmen ihrer Möglichkeiten bezahlbaren Wohnraum schaffen“, sagt VNW-Direktor Andreas Breitner. „Allerdings können viele Führungskräfte im Sinne einer ordnungsgemäßen Unternehmensführung derzeit den Start von Neubauprojekten nicht verantworten. Laufende, weit fortgeschrittene Projekte werden noch beendet, dann aber ist Schluss. Auf Grund der langen Vorlaufzeiten wird auf dem Bau noch in diesem und nächsten Jahr fertiggestellt und spätestens 2024/25 ist Schluss.“
Die hohen Preissteigerungen träfen die Genossenschaften und die sozial orientierten Gesellschaften besonders hart, so der VNW-Direktor weiter. „Sie wollen Wohnraum schaffen, den sich Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen leisten können. Wer aber heute mit dem Bauen beginnt, wird eine monatliche Nettokaltmiete von mehr als 14 Euro pro Quadratmeter nehmen müssen. Das Problem ist: die hohen Baukosten sind für alle gleich und wer keine Mondmiete nehmen will, der ist raus.“